Zum 1. Januar 2020 tritt die Dritte Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft, die einen Systemwechsel von der einrichtungsbezogenen Vergütung zur personenzentrierten Sichtweise vorschreibt. Sie enthält u.a. die Trennung der Kostenträgerschaft für existenzsichernde Leistungen (z.B. Unterkunft und Lebensunterhalt) und für Fachleistungen (z.B. Betreuung) in den bisherigen stationären Wohnformen und teilstationären tagesstrukturierenden Angeboten. Die Kosten von Unterkunft/Miete und Lebensunterhalt werden künftig von der Sozialhilfe getragen, die Kosten der Fachleistungen wie bisher von der Eingliederungshilfe.Zur Umsetzung der BTHG-Vorschriften wurde im August 2019 in einem ersten Schritt zwischen dem Land Niedersachsen, den kommunalen Spitzenverbänden und den Verbänden der Einrichtungsträger eine Übergangsvereinbarung für erwachsene behinderte Menschen in der Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers geschlossen. Die Übergangsregelung tritt spätestens zum 1. September 2019 in Kraft und ist befristet bis zum 31. Dezember 2021. Diese Übergangsregelung ist kein Rahmenvertrag und löst nicht die bisher geltenden Rahmenvertragsregelungen der FFV-LRV I und II, des Ergänzungsvertrags III oder die Beschlüsse der Gemeinsamen Kommissionen ab, sondern führt diese fort. Die Parteien der Vereinbarung haben sich verpflichtet, während der Übergangszeit einen neuen Landesrahmenvertrag zu verhandeln.
Ab 2020 erhalten auch Bewohner vollstationärer Behinderteneinrichtungen im Rahmen der Sozialhilfe Mittel für die Kosten der Unterkunft und Heizung sowie für ihre persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (Ernährung, Kleidung, Körperpflege etc.). Hierfür müssten allen Bewohner noch in 2019 für die Zeit ab 1. Januar 2020 Sozialhilfeleistungen bewilligt werden, das geschieht in der Regel auf Antrag beim Sozialhilfeträger. Das Land Niedersachsen hat bereits im Juni 2019 allen Bewohnern von stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe ein Mitteilungsschreiben über die bevorstehenden Änderungen und eine mögliche Antragspflicht zugesandt.
Die Übergangsregelung mit den Anlagen regelt u.a., welche Beträge aus diesen Budgets der Sozialhilfe vom Bewohner für die einzelnen Leistungsbereiche einzusetzen sind und wie sich hieraus die neuen Vergütungsbestandteile für die Leistungen der Einrichtung errechnen. Die Übergangsregelung sieht für Sonderfälle auch ergänzende Vergütungsvereinbarungen mit dem Land bzw. Landesamt vor, falls z.B. die bisher vereinbarten Investitionskosten höher sind als die im Rahmen der angemessenen Unterkunftskosten vom örtlichen Sozialhilfeträger übernommenen Beträge für das Wohnen.
Die nach den Vorgaben der Übergangsregelungen zu errechnenden Vergütungsbestandteile sind entsprechend in die neu mit den Bewohnern abzuschließenden Heimverträge nach WBVG aufzunehmen.
Es liegen bereits erste Musterverträge von Verbänden für den Bereich Wohnen vor. Abgeschlossen werden sollten neue Heimverträge allerdings erst im letzten Quartal 2019, wenn ab Ende September die neuen Vorgabewerte der Gemeinsamen Kommission bekannt gegeben worden sind.
Weiter berücksichtigt die Übergangsregelung bereits die künftigen Zuständigkeitsvorschriften des zurzeit in der parlamentarischen Beratung befindlichen Entwurfs eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Neunten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (Nds.AG SGB IX/XII). Danach sind für die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche bis zur Volljährigkeit bzw. bis zum Ende der Schulausbildung zukünftig die kreisfreien Städte, die Landkreise bzw. die Region Hannover zuständig, für Erwachsene das Land als überörtlicher Sozialhilfeträger.
Für die minderjährigen Behinderten in Zuständigkeit der Kommunen laufen ebenfalls bereits Verhandlungen über den Abschluss einer eigenen Übergangsregelung.
Vergütungsverhandlungen vollstationär für Niedersachsen – erste Erfahrungen aus der Praxis
Die Erfahrungen der ersten Monate mit Vergütungsverhandlungen für vollstationäre Einrichtungen auf der Basis des neuen Kalkulationsschemas aus April 2019 haben gezeigt, dass das an den Rahmenvertrag angepasste Verfahren gute Chancen für alle Träger birgt, zumindest in der Pflege deutliche Gehaltserhöhungen für die Mitarbeiter und auch erkennbar höhere Durchschnittspersonalkosten zu vereinbaren.
Mit der Anerkennung der in der Anlage A4 aufgeführten Arbeitgebernebenkosten wie Anwerbungskosten für neue Mitarbeiter, gezahlte Abfindungen, Freistellungskosten, Fremdpersonalkosten etc. werden bestimmte bisher vom Träger allein zu tragende Risiken jetzt überwiegend refinanziert. Das führt – gemeinsam mit der inzwischen möglichen Nachberechnung von Azubis – zu merkbaren Vergütungssteigerungen in teilweise zweistelliger Höhe.
Festzustellen ist, dass das neun Vergütungsverfahren insgesamt zeitaufwendiger ist als die bisher üblichen Pflegesatzverfahren mit prozentualer Steigerung der zuletzt abgeschlossenen Vergütungssätze. Zum Einen werden im neuen Kalkulationsschema bereits deutlich mehr Angaben und Informationen abgefragt als bisher, die zuvor im Rahmen der Buchhaltung erhoben werden müssen. Zum Anderen ist für die Ermittlung der in Anlage A4 geforderten durchschnittlichen Personalkosten der einzelnen Pflegepersonalgruppen und der Azubi-Anleiter eine sorgfältige Ist-Kosten-Ermittlung mit Hilfe einer Personalkostenliste zumindest für die Pflege sinnvoll und erforderlich.
Eine sorgfältige und detaillierte Durchschnittsberechnung der Pflegepersonalkosten (Arbeitnehmerbrutto) ist auch deswegen so wichtig, weil die Angaben über die prospektiv vereinbarten Gehälter der Pflegemitarbeiter in Anlage A4, die nach § 84 Abs. 7 SGB XI einzuhalten sind, bei der nächsten Verhandlung überprüft werden können und bei Nichteinhaltung ggf. als Grundlage für Vergütungskürzungen nach § 115 Abs. 3 SGB XI dienen können.