Im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer wird die Übertragung von Betrieben begünstigt behandelt. Anders als bei privaten Vermögen ist es möglich Unternehmen unter teilweiser oder vollständiger Befreiung von der Steuer unentgeltlich zu übertragen. Die Steuerfreistellung ist aber mit Auflagen verknüpft. Entsprechend dem Zweck der Begünstigung (Erhalt von Betrieb und Arbeitsplätzen) muss der Begünstige den geerbten oder geschenkten Betrieb fortführen. Ferner darf der Umfang des sogenannten „Verwaltungsvermögens“ des Betriebs bestimmte Quoten nicht übersteigen.
Von hoher praktischer Relevanz ist dabei der sogenannte „Einstiegstest“ nach § 13b Abs. 2 ErbStG. Nach dieser Vorschrift ist eine erbschaftsteuerliche Begünstigung ausgeschlossen, wenn der Wert des Verwaltungsvermögens, zu dem auch das Finanzvermögen gehört, mindestens 90 % des Unternehmenswertes beträgt. Diese auf den ersten Blick schwer verständliche Vorschrift kann gravierende Auswirkungen haben, wie folgendes Beispiel zeigt:
Beispiel: Der nach Ertragswertverfahren ermittelte Wert eines Großhandelsunternehmens beträgt T€ 500. Zum Stichtag der Schenkung hat das Unternehmen Forderungen aus Warenlieferungen in Höhe von T€ 1.000 und gleichzeitig Verbindlichkeiten aus Warenlieferungen in Höhe von T€ 900.
Ergebnis: Der Wert des Verwaltungsvermögens (T€ 1.000) -dazu gehören Forderungen- beträgt 200% des Unternehmenswertes (T€ 500).
Da beim „Einstiegstest“ die den Forderungen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten nicht berücksichtigt werden, übersteigt das Verwaltungsvermögen im Beispiel sogar den Unternehmenswert. Der Betrieb kann nicht begünstigt übertragen werden.
Die beschriebene Konstellation kann in der Praxis bei vielen Unternehmen -insbesondere bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen auftreten. Der Einstiegstest wurde daher seit seiner Einführung 2016 in der Fachwelt kritisiert.
Dieser Kritik hat sich nunmehr zumindest ein Finanzgericht angeschlossen. In einem Urteil vom 24. November 2021 hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass diese Regelung nicht auf Betriebe anzuwenden ist, deren Hauptzweck einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit gilt.
Die Richter aus Münster stellen sich damit klar gegen den Wortlaut des Gesetzes und begründen dies mit dem ihrer Meinung nach abweichenden Willen des Gesetzgebers. Die wortlautgetreue Anwendung der Vorschrift würde zu „sinnwidrigen Ergebnissen“ führen, daher sei eine richterliche Rechtsfortbildung geboten.
Gegen das Urteil wurde Revision beim BFH eingelegt. Sollte die Auffassung der Richter aus Münster dort bestätigt werden, wäre die erbschaft- und schenkungssteuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen künftig für deutlich mehr Unternehmen anwendbar.